Samstag, 8. März 2025

Tell oder Stauffacherin

Seit den letzten 30 Jahren hat die Zahl der Initiativen und Referenden enorm zugenommen. Die Parteien links der Mitte genauso wie die SVP treiben die Stimmberechtigten vor sich her mit immer neuen Initiativen – und immer häufiger behandeln diese Initiativen das gleiche Anliegen, das bereits einmal oder gar mehrmals vom Volk abgelehnt wurde. Da wird nach der Devise gehandelt: Wenn das Volk nicht so will wie ich, werde ich so lange darauf einprügeln, bis ich es weich geklopft habe.

Weil diese Allianz von rechts aussen und links aussen in Bundesbern eine Mehrheit stellt, ist auch niemand da, der diesem verwerflichen Handeln Einhalt gebieten könnte oder wollte. Eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen zu verlangen und in einer Volksabstimmung auch zu verteidigen, darauf wollen sich weder Mitte, FDP noch GLP einlassen. Dass auch dieses Stillehalten am Volk vorbeigeht, scheint kaum zu kümmern.

Als 1891 das Initiativrecht eingeführt wurde, zählte die Schweiz weniger als 3 Millionen Einwohner. Rund 1.4 davon waren männlich und demzufolge stimmberechtigt. Als 1977 letztmals die nötige Zahl der Unterschriften für Initiativen und Referenden erhöht wurde, lebten 6.3 Millionen Menschen in unserem Land; der grösste Teil davon war stimmberechtigt. Inzwischen sind es fast 50 Prozent mehr, nämlich über 9 Millionen.

Damit wird es immer einfacher, die nötigen 50’000 oder 100'000 Unterschriften zusammen zu bringen. Weil es in den letzten 30 Jahren auch immer einfacher wurde, Unterschriften zu sammeln – Internet, E-Mails und Social Media sei Dank – ist das bloss noch eine mittlere Fingerübung für eine gut organisierte Partei oder Organisation und Regierung wie Parlament können übergangen und das Volk kann an die Urne gezwungen werden. Auf diese Weise wird nicht nur das Volk gegängelt, auch der Wert der Parlaments- wie der Regierungsarbeit wird herabgewürdigt.

Es war aber nie die Idee der direkten Demokratie, dass eine (kleine) Minderheit in diesem Land die Stimmberechtigten ebenso wie die Parlamente und die Regierungen regelrecht vor sich hertreiben kann. Korrigieren: ja – neue Ideen einbringen: ja – das System bis an die Grenzen der Blockade ausnützen: Nein. 

Um dem Initiativrecht wieder sein ursprüngliches Gewicht zu geben und dem Missbrauch einen Riegel zu schieben, müssten die Unterschriftenzahlen auf mindestens 300'000 für eine Volksinitiative und 150'000 für ein Referendum erhöht werden. Das politische Instrument heisst schliesslich «Volksinitiative» und nicht «persönliche oder parteipolitische Interessensinitiative».

Ein Wilhelm Tell ist dringend gefragt – oder eine Stauffacherin. Oder einfach nur Parteiverantwortliche, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken wollen und können.

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