Gelesen in einer renommierten Schweizer Tageszeitung: «Inflation und höhere Hypozinsen behindern Frühpensionierungen». Dieser Fronttitel ist zumindest mit wenig Bedacht gesetzt worden.
Warum?
Erstens geht er mit völliger Selbstverständlichkeit davon
aus, dass Frühpensionierungen à priori gut und erstrebenswert sind. Damit
übernimmt er – wohl unreflektiert – das Wording der politischen Linken. Sie behaupten
seit Jahrzehnten, Frühpensionierungen würden Arbeitsplätze schaffen und die
Leute seien schon mit 60 Jahren völlig ausgebrannt, obwohl die wissenschaftliche
Ökonomie Ersteres seit ebenso vielen Jahren klar verneint, die Realität es Lügen straft und die Medizin
Letzteres mehr als bloss als Humbug (Ausnahmen gibt es immer) ausweist.
Zweitens kann ja wohl niemand allen Ernstes der Meinung sein, dass es die Aufgabe des Hypothekarzinses sein soll, Frühpensionierungen zu erleichtern oder zu ermöglichen. Schon gar nicht kann sich jemand bei der Planung seines Rentenalters auf die gütige Mithilfe einer tiefen Inflation verlassen.
Drittens negiert dieser Titel, dass es immer noch die Aufgabe jedes Einzelnen ist, sich während seines rund 45-50-jährigen Arbeitslebens auch gemäss seinen eigenen Wünschen und Möglichkeiten auf das Rentnerdasein vorzubereiten. Für alle, die aus gesundheitlichen Gründen, wegen «ausserordentlich viel Pech im Leben» oder wegen fehlender Ausbildung(smöglichkeit) bzw. fehlender Intelligenz dazu nicht fähig sind, besteht das soziale Netz des Staates. Für alle anderen gibt es keinen Anspruch darauf, dass der Staat für sie sorgt, wenn sie das ordentliche Rentenalter erreicht haben, so wie Eltern für ihre (Klein-)Kinder zu sorgen haben.
Viertens frägt sich, ob sich bei der riesigen Zahl von jährlichen (Neu-)Pensionierungen und dem Mangel an lebenswichtigen Arbeitskräften zum Beispiel im Gesundheits- und im Bildungswesen eine Frühpensionierung ethisch gegenüber der Gesellschaft überhaupt noch rechtfertigen lässt. Oder ob dies nicht an einen sozial rücksichtlosen Egoismus (der gerade von der politischen Linken sonst vehement bekämpft wird) grenzt.
Das Rentnerdasein, fünftens, ist kein Hilflosendasein. Auch wenn das manche Politiker und Parteien noch immer als ihr «Axiom» verkünden. Mit dem Eintritt ins ORA gibt niemand weder seine Selbständigkeit, weder seine Mündigkeit, weder seine Eigenverantwortung noch sein Hirn ab.
Wer jährlich jeden übriggebliebenen Lohnbatzen in exotische Ferienparadiese, schnelle Autos oder Designerklamotten investiert, hat keinen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit oder die Wirtschaft das für ihn auch noch tut, wenn er einmal in Rente ist. Nachhaltiger Wohlstand besteht nur dann, wenn er selbst und immer wieder von Neuem erarbeitet ist und wird. Selbst Ölquellen versiegen irgendeinmal – aber davon hat die Schweiz nicht mal eine einzige.
Fazit: Guter Journalismus ist ebenso eine Frage der Kompetenz und der Leistung wie der Wohlstand. Und zu gutem Journalismus gehört als eines der obersten Prinzipien ein äusserst sorgfältiger Umgang mit der Sprache.
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