Freitag, 9. Dezember 2022

Ein wirklich schlechtes Vorbild

Die Inlandteuerung in der Schweiz ist nach wie vor tief. Allein wegen der importierten Teuerung liegt die Inflation hierzulande Ende Jahr bei leicht unter 3 Prozent (Seco-Prognose). Das ist kein Grund zum Alarmismus. Normalerweise sind unsere Gewerkschaften vernünftig und verlangen nicht über der Teuerung liegende Lohnerhöhungen. Die bisherigen Vereinbarungen stützen dieses Faktum. Selbst gut situierte Chemieriesen erhöhen ihre Lohnvolumina nur um etwas mehr als 2 Prozent.

Diese Vernunft ist nicht belanglos, sondern sehr sozial. Denn die Inflation ist eine Marktentwicklung, die vor allem jene Menschen trifft, die weniger begütert sind. Und wenn die Löhne mit der Teuerung oder noch stärker steigen, setzen diese einen verheerenden Mechanismus in Gang: die sogenannte Teuerungsspirale. Läuft diese Spirale einmal, ist sie nur noch sehr schwer und meist nicht ohne eine grössere Rezession zu stoppen. Doch auch eine Rezession trifft die schwächeren Marktteilnehmerinnen stärker als den Durchschnitt der Bevölkerung.

So weit so gut also: die Schweiz bleibt wie meist in solchen Lagen vernünftig. 

Beziehungsweise: Fast vernünftig. Wären da nicht ausgerechnet die SBB. Die Bundesbahnen, welche die stattliche Zahl von 33'500 Mitarbeitern beschäftigen, erhöhen ihre Lohnsumme per 1. Januar 2023 um 3.3 Prozent, wie sie soeben bekannt gaben. Gleichzeitig betonen sie: «Der Spardruck bleibt hoch.» Die Taten deasavouieren hier jedoch die Worte als hohl. Denn die SBB stellten vor etwa einem Monat für 2024 grössere Preiserhöhungen in Aussicht. Sie drehen also hemmungslos an der Lohn-Preis-Spirale.

Als öffentlich-rechtliches Service-public-Unternehmen, dessen rekordhohe Defizite eben erst von den Steuerzahlenden übernommen werden mussten, sind die SBB dazu verpflichtet, die Interessen der Gesamtgesellschaft unseres Landes zu vertreten. In diesem Fall hiesse das, bei den Lohnerhöhungen deutlich mehr Zurückhaltung walten zu lassen. All jene Sozialpartner, die sich bisher und weiterhin in Zurückhaltung üben und übten, müssen sich nun als die Dummen vorkommen. 

Das ist vollständig und komplett die falsche Rolle, die hier ein Bundesbetrieb spielt. Dass selbst ein Jahr vor den Wahlen aus dem Parlament bisher keine Äusserungen dazu zu vernehmen waren, wirft ebenso ein äusserst schlechtes Licht auf die wirtschaftspolitische Kompetenz unserer Volksvertretung. 

 

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