Sonntag, 20. November 2022

Wichtig - aber eigentlich unattraktiv

Wenn Bundesräte oder -rätinnen zurücktreten, füllen sich die Zeitungen und die Radio- und TV-Sendungen mit Berichten zum Thema. Dies meist über Wochen. Erst ein paar Tage nach der Wahl der neuen Bundesrätinnen kehrt hier wieder Ruhe ein.

Die mediale Aufregung suggeriert, die Bundesräte würden die Schweiz regieren. Tun sie aber nicht. Ein Bundesrat hat in erster Linie die Aufgabe, sein Departement bzw. die Verwaltung zu führen. Schwache Bundesräte werden auch schon mal von der Verwaltung geführt. Der berühmte Nebelspalter-Karikaturist Bö meint vor Jahrzehnten dazu:

«Wer gibt der Schweiz die heutige Gestaltung?

Zweitens ist’s der Bundesrat

Und erstens die Verwaltung.»

Bundesratsmitglieder können Schwerpunkte setzen, wenn sie polittaktisch äusserst klug vorgehen und die Gabe haben, Mehrheiten zu schmieden. Denn im Gegensatz zu ausländischen Ministern müssen sie nicht nur ihr eigenes Kollegium überzeugen, sondern zwei Parlamentskammern, in dem keine der Bundesratsparteien auch nur annähernd eine Mehrheit hat.

Bundesratsmitglieder fallen deshalb öfters dadurch auf, dass sie Vieles nicht erreicht, viele Probleme keiner Lösung zugeführt haben. Seltener aber dadurch, dass sie das Land visionär weitergebracht haben. Der letzte Bundesrat, dem dies trotz enormer Widerstände gelang, war Adolf Ogi mit «seiner» Neat. Von ihr behaupteten die Gegner, die mit Otto Stich auch prominent im Bundesratsgremium vertreten waren, dass sie überrissen, unnötig und (deshalb) viel zu teuer wäre. Heute können wir uns das Schweizer Eisenbahnnetz ohne die beiden Alpen-Basistunnels schlicht nicht mehr vorstellen. Und der als besonders unnötig deklarierte Lötschbergtunnel wird gar von zwei auf vier Spuren ausgebaut.

Die Schweiz wäre dankbar für viele solche Bundesräte und -innen. Das Auswahlprozedere und die sehr schwierigen bzw. eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten reduzieren jedoch die Chance auf ähnlich erfolgreiche «Gestalter». Denn die Parteizugehörigkeit (inkl. Parteiflügel-Zugehörigkeit), die Herkunft (Kanton, Region, Sprache) und neu auch das Geschlecht sind wichtiger als die Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten.

Dies alles für eine Aufgabe, die einen enormen Einsatz erfordert und im besten Fall nach dem Rücktritt (oder auch erst in den Geschichtsbüchern) eine positive Würdigung findet.

 

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