Sonntag, 23. Oktober 2022

Richtermacht statt souveräne Mehrheitsentscheide?

Einer von vielen ähnlichen Medientiteln dieser Tage: «Darf das (Bundes-)Parlament die Demokratie aushebeln?» Und dieser Titel ist keine Satire, sondern durchaus ernst gemeint. Er zeigt mit grosser Deutlichkeit, dass der betreffende Journalist der Propaganda einzelner NGO-Vertreter erlegen ist. Und dies wurde möglich, weil der betreffende Schreiber unser politisches System nicht genügend kennt.

Es geht immer um dasselbe: Das Parlament hat in seiner letzten Session angesichts des akuten Energiemangels den betreffenden NGO ganz leicht die Federn gestutzt. Vor einigen Jahren hatte das gleiche Parlament den gleichen NGOs neue Rechte eingeräumt. Sie konnten seither u.a. gegen neue Energieprojekte – Staumauererhöhungen, neue Wasserkraftwerke, Windkraftanlagen, etc. – Klage einreichen. Das haben sie derart exzessiv getan, dass praktisch nichts mehr möglich wurde. Der Ausbau der Windkraft findet nicht (mehr) statt. Ja selbst gegen Solaranlagen wird jahrelang prozessiert. Dies passiert auch dort, wo (wie z.B. aktuell im Kanton Waadt) der Souverän dieser Energienutzung mit deutlichem Mehr zugestimmt hat.

Diese Blockade von Wirtschaft und Wohlstand hat das Bundesparlament durchbrechen wollen. Nun werfen ihm die NGO-Funktionäre vor, «undemokratisch» zu handeln. Das, obwohl es sich beim Bundesparlament um völlig demokratisch gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter handelt. Diese (nicht demokratisch legitimierten) NGO-Funktionärinnen schwingen sich empor zu Verfassungshütern und gleich auch -richtern. Sie massen sich an, ihnen stehe es zu, den Begriff der Demokratie zu definieren und dessen Auslegung gleich auch noch selbst vorzunehmen. Einmal mehr nehmen sie den Weg ans Bundesgericht.

Unser Bundesgericht ist aber kein Verfassungsgericht. Dies, weil die höchste staatliche Instanz bei uns das Parlament ist. Und über diesem steht allein der Souverän – und ganz bewusst kein Verfassungsgericht. Wäre dies anders, würde die direkte Demokratie zur Farce verkommen. Denn jedes Ergebnis einer Volksabstimmung, das mir nicht passt, könnte ich vor dem Verfassungsgericht anfechten. Und am Ende würde nicht das Volk mit demokratisch legitimierter Mehrheit entscheiden, sondern ein paar Richter im Verfassungsgericht würden dem Volk sagen, was es zu tun hat. Das wären dann in etwa US-amerikanische Verhältnisse.

Würden die (nicht vom Volk demokratisch gewählten) Verfassungsrichter entscheiden, hätten wir jedoch bereits seit Jahrzehnten für Frauen und Männer das gleiche Rentenalter (wohl ohne Kompensation), gleiche AHV-Renten und Steuern für Verheiratete und Unverheiratete, eine Militärdienstpflicht für Frauen, gleiche Witwen- und Witwerrenten, etc. 

Jede Medaille hat zwei Seiten – auch dann, wenn gewisse Kreise mit dieser Realität (und mit unserer direkten Demokratie) grösste Mühe haben.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen