Donnerstag, 7. Oktober 2021

Den politischen Primat der Politik, nicht den Moralisten

Vor 70 Jahren, in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts, beanspruchten die drei Landeskirchen den Lead, wenn es um Fragen der Moral, um die Frage des richtigen oder falschen Handelns, um Fragen auch der Ethik ging. Diese Tatsache blieb unbestritten und wurde auch von der Politik weitgehend anerkannt. Unsere Gesetze zeugen bis heute davon. Die Landeskirchen hielten sich im Gegenzug von der Politik fern, wenn sie nicht direkt betroffen waren (Kirchensteuern etc.).

Diese Kirchen haben – zu einem grossen Teil aus eigenem Verschulden – den Lead in Fragen von Ethik und Moral inzwischen weitestgehend verloren. Interessanterweise traten jedoch an ihre Stelle nicht irgendwelche selbsternannten «Gesundbeter» und «Heilsaposteln», sondern völlig überraschend politische Parteien.

Dies derart unerwartet, dass wir uns im gleichen Moment, in dem die CVP ihr christliches «C» aus dem Parteinamen eliminiert, einer linksgrünen Parteielite und diversen ihr nahestehenden Gruppierungen (meist NGOs) gegenübersehen, die für sich den Anspruch erheben, zu bestimmen, welches Denken und Tun moralisch und ethisch gut ist und welches nicht.

Angeführt von Journalisten (allen voran jenen der SRG), die bei diesen Themen ihre gewohnte Kritik- und Beissfähigkeit verloren, haben die linksgrünen Moralisten so die «Stammtischhoheit» zumindest in den städtischen Gebieten errungen. Wir, die wir dazu erzogen worden sind, die Moralhoheit der Kirche per se zu anerkennen und zu akzeptieren, stehen den neuen Predigern irgendwie hilflos gegenüber. Wir sind es nicht gewohnt, uns auf diesem Terrain zu bewegen, weil diese Fragen bisher von der sachpolitischen Bühne verbannt und als eine Art «Verhaltensbasis» bloss im Hintergrund bzw. in der Kirche präsent waren. Eng verknüpft dabei mit dem sehr persönlichen und deshalb sehr privaten Thema der Religion, das für die allermeisten Schweizerinnen und Schweizer auf öffentlichen Diskussionsforen nichts verloren hat.

Generationenlang haben sich die Liberalen für eine möglichst klare Trennung von Kirche und Staat gewehrt; dies im Geist der Aufklärung. Und zumindest jene Kantone, die in den 1870-er Jahren unter einem harten Kulturkampf litten, der bis in die 60-er und 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts nachhallte, wissen, was es heisst, das Primat der Politik nachhaltig vor dem Primat der Moralisten oder Religionen zu verankern. Heute sind es die Islamisten auf der einen und die linksgrünen Gruppierungen und Parteien auf der anderen Seite, welche diese Errungenschaften angreifen. Und wir stehen da und wissen nicht, wie wir uns verteidigen können und sollen. Ein Blick in die Geschichtsbücher reicht jedoch, um zu erkennen, dass kein erfolgreicher Weg an einer solchen, an einer höchst konsequenten Verteidigung vorbeiführt.

 

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