Samstag, 10. Juli 2021

Die komplexe Ausgangslage beachten, bitte

Kaum hat jemand ein paar Zahlen zur Umwelt veröffentlicht, folgt prompt die Anklage der Grünen. Der grüne Solothurner Nationalrat klagt an und fordert, verlangt neue Verbote. Dies nach Zahlen, die seine Parteikollegin im Regierungsrat kürzlich veröffentlicht hat.

Der Kanton Solothurn soll also im Gebäudebereich, was die Umrüstung auf alternative Energien betrifft, der Klassenletzte sein in der Schweiz. So steht es zumindest im «2. Bericht zum kantonalen Energiekonzept». Die Solothurner sind also DIE Schweizer Umweltsünder? Ganz so einfach ist die Sachlage nicht. Erstens geht der Bericht nicht der Frage nach, wieso das denn so ist (was eigentlich die Grundlage für eine ideologiefreie Lösungsfindung darstellen würde), und zweitens stellt er fest, dass die Industrie im Kanton «auf Kurs» (Zitat) ist.

Wer die Lage bei den Neubauten verfolgt weiss, dass dabei weitgehend auf CO2-reduzierte oder gar CO2-freie Bauten gesetzt wird. Das weist indirekt auch der Bericht nach: Der Anteil der Ölheizungen ist seit 1990 drastisch gesunken; der Anteil der (bis vor kurzem noch von staatsnahen Betrieben stark propagierten) Gasheizungen ist seit 2015 ebenfalls rückläufig.

Der Kanton Solothurn verfügt jedoch über schweizweit betrachtet überdurchschnittlich viele Einfamilienhäuser. Sehr viele von ihnen wurden in den 60-er und 70-er Jahren gebaut. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind inzwischen betagt und leben vom Ersparten und von der AHV. Über relevante Pensionskassenrenten verfügen in dieser Generation nur die ehemaligen Staatsangestellten.

Diese Häuser, meist erbaut vor der grossen Energiekrise Mitte der 70-er Jahre, verfügen über eine mangelhafte Isolation der Aussenhülle und setzen auf Hochtemperaturheizungen (Radiatoren). Um eine sinnvolle Investition zu tätigen, die auch physikalisch nachhaltig ist, müsste gleichzeitig die ganze Aussenhülle ersetzt bzw. erneuert werden. Das heisst: neues Dach, neue Aussenisolation, neue Fenster und Türen. Alternative Heizsysteme sind eigentlich nur sinnvoll, wenn die Heizung auf Niedertemperatur umgestellt wird. Dazu müssten zumindest alle Radiatoren ersetzt werden, noch besser wäre eine komplette Umstellung auf Bodenheizung. Weil dann sinnvollerweise die ganze Gebäudetechnik auch ersetzt wird, bedeutet das nichts anderes als eine Totalsanierung des Hauses. Und diese kann kaum im bewohnten Zustand erfolgen.

Das alles soll nun ein betagtes Ehepaar oder ein betagter Alleinstehender auf sich nehmen? Da diese Hausbesitzer keine Aussicht auf eine Hypothek haben, müssten sie auch noch alles direkt aus der eigenen Tasche finanzieren können. Das sind bereits äusserst hohe Hürden. Gegen eine Totalsanierung spricht in diesem Fall aber auch der gesunde Menschenverstand. Die nachfolgenden Generationen haben andere Wohnprioritäten und -bedürfnisse. Das Haus wäre bei einem späteren Bewohner- bzw. Besitzerwechsel unter Umständen nochmals umzubauen. Damit würden jede Menge Ressourcen (u.a. graue Energie) verschleudert.

Das neue Raumplanungsgesetz verlangt zudem nach Verdichtung. Unter anderem deshalb werden auf dem Areal ehemaliger Einfamilienhäuser sehr häufig mehrere Miet- oder Eigentumswohnungen erstellt. Betreffend Umwelt- wie Landschaftsschutz ein klarer Vorteil. Der zeitgebundene Zwang zur Sanierung bestehender Anlagen ist also sehr häufig - auch ökologisch - überhaupt nicht sinnvoll. 

Im Kanton Solothurn wurde zudem im Gebäudebereich weniger in die CO2-Reduktion investiert als anderswo, weil bei uns riesige Grossüberbauungen mit mehreren hundert Wohnungen sehr selten sind. Dafür fehlen die Grosszentren ebenso wie die entsprechende Wohnungsnachfrage. Mit Grossüberbauungen lassen sich jedoch Umweltinvestitionen viel besser amortisieren – einige sind gar nur dort sinnvoll. Nicht zufällig führt die Rangliste, die vom genannten Bericht veröffentlicht wurde, der Kanton Baselstadt an.

Fazit: die Solothurnerinnen sind wohl kaum weniger umweltbewusst als der Rest der Schweiz. Aber die Umstände sind hier andere.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen