Mittwoch, 30. Juni 2021

Zweierlei Arbeitsrecht dank Bundesrat?

Der Bundesrat hat bisher in der Schweiz ein liberaleres Arbeitszeitgesetz verunmöglicht. Betreffend gesetzlicher Arbeitszeitregelung befinden wir uns noch tief im 20. Jahrhundert und Jahrzehnte vor der Digitalisierung. Nicht einmal die ganze Home-Office-Geschichte scheint die Landesregierung in ihrer (wenigstens auf dem Papier bürgerlichen) Mehrheit umgestimmt zu haben.

Worum geht es?

Wer als junger Papa heute nach der Arbeit die Kinder von der Krippe/Kita abholt, mit der Familie das Abendessen geniesst, seinen Kindern Zeit widmet und um 22 Uhr nochmals den Laptop hervornimmt, um jene Arbeit zu erledigen, die wegen des frühen Feierabends (Krippen schliessen früh…) liegenblieb, handelt illegal. Das Arbeitsrecht erlaubt solche Arbeitszeiten nur bestimmten Branchen, andern bloss im bewilligten Ausnahmefall.

Das zu ändern und die volle Jahresarbeitszeit zu bewilligen, wäre mehr als höchste Zeit. Aber Bundesrat wie Parlament haben dies bisher verunmöglicht. Als Beispiel wird dann jeweils der Industriearbeiter angeführt, dem man doch zu dieser nachtschlafenden Zeit keinen Arbeitseinsatz im Umfeld eines wenn möglich noch gesundheitlich belastenden Fabrikjobs zumuten kann. Dass genau dieser Büezer heute die grosse – und immer grösser werdende – Ausnahme darstellt, scheint in Bundesbern noch nicht angekommen zu sein. Für diese «Ausnahme» besteht heute eine gute gesetzliche Regelung. Für die immer grösser werdende Mehrheit der digitalisierten Dienstleister jedoch wird diese Vor-Computer-Zeitalter-Gesetzgebung immer mehr zu einem ärgerlichen Hindernis. Ein bürokratisches Hindernis übrigens, das mit der (zusehends auch gelebten) Realität nicht mehr viel zu tun hat.

Man möchte deshalb rufen: Liebes Bundesbern, auch wenn unter der Bundeskuppel die Digitalisierung mancherorts noch ein Stiefmütterchendasein fristet (wie die Pandemie eben überdeutlich gezeigt hat), empfiehlt es sich, ab und zu das Fenster zu öffnen und die frische Luft der täglichen Realität einzuatmen. Aber halt: Der Bundesrat weiss ganz genau, wie der Hase läuft. Was nämlich für Sie und mich verboten ist, das will er nun allen Bundesbeamten mit mehr als 110'000 Franken Jahreslohn erlauben. Und das sind beinahe 50 Prozent alles Bundesangestellten.

Irgendwie kommt man sich da als steuerzahlender Familien-Unternehmer, Gewerbler oder als KMU-ler einfach nur blöd vor.

Samstag, 26. Juni 2021

Verbandsfunktionäre und ihre "Interessenvertretung"

Da reibt sich der Politikbeobachter die Augen und schüttelt den Kopf. Der Grund: GfS Bern machte eine Umfrage unter Mieterinnen und Vermietern. Ergebnis: Mit dem heutigen Mietrecht und der Lage auf dem Wohnungsmarkt sind beide Seiten weitgehend zufrieden. Bei den Mietern sind dies 61 Prozent, bei den Vermietern ebenfalls. Bloss die unzufriedenen Vermieter sind etwas unzufriedener als die unzufriedenen Mieter. Wirklich unzufrieden ist jedoch auf beiden Seiten nur jeder zehnte. Dennoch ging der Mieterverband sofort gegen diese Umfrage «auf die Barrikaden».

Der Bundesrat wollte wissen, ob das rund 30-jährige Mietrecht erneut geändert werden sollte. Offensichtlich besteht dazu kein grosser Handlungsbedarf. Pech für die Funktionäre und Lobbyisten der beiden Verbände. Vor allem die Mietverbände begannen jedoch unvermittelt zu zetern. Sie zogen die Umfrage und ihre Ergebnisse in Zweifel. Ausgerechnet. Denn GfS steht der SP äusserst nahe. Und das seit der Gründung. Es gab Zeiten, da gaben sich die SP-Partei- und Fraktionspräsidenten am Berner GfS-Sitz fast täglich die Klinke in die Hand. Für Peter Bodenmann und Ursula Koch war GfS so etwas wie ihr zweites Zuhause. Der Mieterverband seinerseits ist einer der «Hausverbände» der SP-Politikerinnen. Hier dominiert praktisch ausschliesslich die Politfarbe Rot, mit ein paar grünen Einsprengseln. Man kann viel über GfS sagen, aber dass sie nicht mieterfreundlich seien, das geht wohl voll daneben.

Ausserdem lässt sich auch die Kompetenz von GfS kaum in Zweifel ziehen. Für politische Fragen besteht in der Schweiz zurzeit kein vergleichbar kompetentes Umfrageinstitut. Die Frustration bei den Funktionärinnen muss also gross gewesen sein, als sie diese Ergebnisse erfuhren. Damit wurden sie eines nicht unerheblichen Teils ihrer Daseinsberechtigung entraubt. Denn die Realität lautet: Es gibt eigentlich auf der politischen Bühne betreffend Mietrecht nichts zu tun. Es sind ja alle zufrieden.

Dass die Funktionäre – nicht nur jene des Mieter- und Vermieterverbandes – die Lage gerne dramatischer darstellen, als sie ist, um die eigene Daseinsberechtigung zu untermauern, zeigt übrigens die GfS-Umfrage ebenfalls sehr schön: Aus Sicht der Interessenverbände bzw. ihrer Vertreterinnen ist die Lage nämlich sehr unbefriedigend. Oder anders ausgedrückt: es besteht Handlungsbedarf. Sind 61% der Mieterinnen zufrieden, sind bei ihren Verbandsvertretern genau umgekehrt 61% unzufrieden. Bei den Vermietervertretern sind dies gar 67 Prozent.

Die Schlussfolgerung?

Die Verbandsvertreter vertreten (mindestens hier) wohl eher ihre eigenen Interessen als die ihrer Mitglieder. Normalerweise heisst das, dass es höchste Zeit ist, etwas zu ändern. In diesem Fall allerdings offensichtlich nicht beim Mietrecht.


Mittwoch, 23. Juni 2021

Das Antidiskriminierungs-Sternchen, das diskriminiert

Die Weisung überrascht nicht: Die Bundeskanzlei stellt klar, dass das Gendersternchen und seine weiteren Anhängsel in Bundestexten nichts verloren haben. Äusserst erstaunlich ist hingegen die Begründung. In der Weisung «Umgang mit dem Genderstern und ähnlichen Schreibweisen in deutschsprachigen Texten des Bundes» stellen die Autoren fest, diese Schreibweise sei noch sehr experimentell und habe sich noch nicht etabliert. 

Bei diesen neuen Schreibweisen handelt es sich jedoch nicht um eine «normale» sprachliche Entwicklung. So wie beispielsweise die Anglizismen oder den Begriff «Albtraum», der immer häufiger als «Alptraum» geschrieben wird, weil hier die historische Distanz zu einer Fehlinterpretation des Begriffs führt. Solche Mutationen sind in der Sprachentwicklung durchaus häufig anzutreffen. Sie entsprechen den normalen Veränderungen der gesprochenen und als Folge davon auch der geschriebenen Sprache.

Die Gender-Geschichte dagegen wurde kurz vor 2010 an deutschen Hochschulen kreiert. Ursprünglich war sie als Mittel gegen Diskriminierungen gedacht. An sich eine sehr akademische (und notabene wenig sprachwissenschaftliche) Vorstellung. Das Gendersternchen wurde aber rasch von Interessenorganisationen übernommen, die sich zum Ziel gesetzt haben, alle Menschen gleich zu machen. Damit wurde das Sternchen mit ideologischem Ballast angefüllt und auf eine Mission geschickt.

Und diese Mission lautet: Wer diese Gender-Geschichte nicht übernimmt, ist Sexist, evtl. gar Rassist oder mindestens jemand, der andere Menschen diskriminiert. Deshalb besteht ein enormer Druck von Seiten von gewissen NGO und Interessenorganisationen, diese Schreibweisen zu übernehmen. Dass genau damit Diskriminierung geschaffen wird, wird ausgeblendet. Jemand, der diese ideologisierte Gleichmacherei nicht mitträgt, der aus religiöser oder anderer Überzeugung an einer sachlichen Sprache festhalten will, die nicht als Nebenprodukt der Information noch eine ideologische Botschaft mitführt, der soll also als Diskriminierer oder als Sexist abgestempelt werden. Der soll ausgerechnet von jenen diskriminiert werden, deren Mission sich angeblich gegen jegliche Diskriminierung richtet.

Deshalb müsste sich die Bundeskanzlei gegen das Gendersternchen entscheiden, weil die Gesetzestexte ebenso wie die übrige Kommunikation des Bundes (und der öffentlichen Hand generell) keine ideologischen oder religiösen Tendenzen welcher Art auch immer enthalten dürfen. Schon gar keine «Missionen» oder «Botschaften».

Echte Toleranz, echte Liberalität heisst, dass jemand, der mit seiner Sprache zum Ausdruck bringen will, dass er einer bestimmten Partei, Ideologie oder Religion angehört, das frei tun darf. Wer unbedingt ein Gendersternchen u.a. verwenden will, der soll das tun dürfen. Das wird auch kein demokratischer Staat verbieten. Wer das hingegen nicht tun will, soll auch dies in gleicher Freiheit dürfen. Niemand hat das Recht, Anderen das Denken und Reden vorzuschreiben. Niemand hat das Recht, Menschen zu schubladisieren. Schubladen schaffen Kasten. Kasten sind menschenunwürdig, unchristlich und letztlich in ihrer Tendenz diktatorisch.

Sonntag, 20. Juni 2021

Schluss mit Ideenlosigkeit und Missgunst

Nochmals 10 Millionen Franken mehr: der Kanton Solothurn erhält jetzt fast 410 Millionen aus dem nationalen Finanzausgleich. Strukturschwächer als Solothurn sind nur noch die Kantone Jura und Wallis. Der eine liegt sehr dezentral, der andere ist ein zweisprachiger Bergkanton. Andere Kantone mit schwierigen Voraussetzungen wie Graubünden oder Uri haben Solothurn längst überholt. Kein Mitglied des Regierungs- und Kantonsrates der letzten 20 Jahren kann sich angesichts dieses Desasters jemals rühmen einen guten Job gemacht zu haben.

Solothurn verfügt über eine ausgezeichnete Verkehrsanbindung und liegt nahe der Zentren Bern, Basel und Zürich. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik wären gegeben. Wenn denn nur die sich bietenden Gelegenheiten auch genutzt würden.

Nein, die Regierung muss nun nicht «einen grossen Wurf» kreieren, an dem die Verwaltung monatelang arbeitet, bevor er in der Exekutive und der Legislative zum nichtssagenden und nichts bewirkenden Papier zerzaust wird. Es gilt aber rasch Schritt für Schritt zu unternehmen. Das Steuerrecht, die Bewilligungsverfahren, die behördlichen Entscheidungswege, politische (nicht finanzielle) Unterstützung für wichtige Branchen u.v.m. sind rasch zu verbessern. Das ist nicht spektakulär und erfordert viel graue Substanz, viele kreative Ideen. Aber es geht nicht ohne diese Arbeit; nicht ohne Initiative und echte Leistung. Die Zeit der schönen 1.August-Reden und der leeren Ankündigungen ist längst vorbei. 

Das betrifft die Gemeinden ebenso wie den Kanton. Zahlreiche Gemeindepräsidenten wurden soeben neu gewählt. Hier darf man hoffen. Zahlreiche altgediente wurden im Amt bestätigt, obwohl sie bereits seit Jahren ihre Gemeinde bloss verwalten. Das gibt zu denken, denn die Zeiten des reinen Verwaltens sind längst vorbei. Wer das tut, der schadet seiner Gemeinde, der schadet allen ihren Einwohnern und der schadet dem Kanton.

In der Pflicht sind jedoch auch die Einwohner unseres Kantons. Zu viele kümmern sich bloss um die Politik, wenn es um den eigenen Vorteil oder das Abwehren eines möglichen persönlichen Nachteils geht. Zu viele mögen dem «lieben Nachbarn» nicht mal das Zahnweh gönnen. Sie verteuern mit ihren rein parteiideologisch oder gar bloss aus dem Neid oder der Missgunst geborenen Einsprachen die Verfahren. Sie verzögern sie und helfen so mit, den Staatsapparat aufzublähen und jene auszubremsen, welche Initiative und Ideen haben. Zu viele Projektleichen liegen in diesem Kanton herum. Die neuste, durchaus skandalöse Einsprache betrifft die Seilbrücke beim «Gschliff». Aus rein persönlicher Rache werden hier Regierung und Parlament ebenso wie der Tourismus ausgebremst. Solchem Blödsinn und derart offensichtlichem Missbrauch der Bürgerrechte muss unbedingt rasch und konsequent ein Riegel geschoben werden.

Mancher Investor hat in den letzten 30 Jahren sein Geld nicht im Kanton Solothurn ausgegeben, weil man ihm ausser Steinen nichts auf den Weg gelegt hat. Wenn sie nicht endlich handelt, tritt deshalb in wenigen Jahren eine Generation von der aktiven Bühne ab, die von sich nur sagen kann, dass sie diesen Kanton heruntergewirtschaftet hat. Zwar könnte sie sich dafür dann ordentlich schämen; besser für uns alle wäre es jedoch, sie würde jetzt endlich zum aktiven Gestalten finden. 

Donnerstag, 17. Juni 2021

Die teuren "billigen" Arbeitsstunden der Verwaltung

Der Kanton Bern (und nicht nur er) hat ein Problem mit grösseren Bauprojekten: Die Kompetenz der Baudirektion reicht nicht für Grossprojekte. Die zuständige Parlamentskommission, die diese Fragen untersucht hat, dringt jedoch nicht zum Kern des Problems vor, sondern verlangt mehr Personal, denn sonst müssten immer wieder «sehr teure» externe Mandate vergeben werden.

Ob so viel betriebswirtschaftlichem Unverstand bleibt dem Privatunternehmer die Spucke weg. Da sind also im Jahre 2021 die Berner Parlamentarier und -innen ernsthaft der Meinung, der Staat arbeite effizienter und günstiger als die Privatwirtschaft. Dies offensichtlich deshalb, weil die staatlichen Budgets auf verschiedenste Direktionen und Ämter verteilt sind und sich niemand die Mühe macht, die doch so billige Arbeitsstunde eines Beamten auch wirklich auszurechnen. Konkret heisst das etwa, dass die Baudirektion bloss die effektiven Lohn- und einen Teil der Lohnnebenkosten auf ihr Budget nehmen muss. Die Informatik, die Bauten, das Mobiliar, die Weiterbildung der Mitarbeitenden, die Finanzierung einer teuren Pensionskasse, die Mensa etc.: alles das und noch viel mehr findet meist in anderen Budgetpositionen statt und kann der Baudirektion mehr oder weniger egal sein. Trotzdem sind es Kosten. Und diese verschwinden nicht per Hokuspokus, sondern müssen von den Steuerzahlern auf Heller und Pfennig berappt werden.

Erst vor wenigen Monaten hat ein Lohnvergleich ergeben, dass die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung im Durchschnitt so viel verdienen, dass nur der Durchschnittslohn in der Bank- und der Versicherungsbranche noch höher liegt. Viele KMU beklagen denn auch seit vielen Jahren, dass sie bestausgebildete Mitarbeitende an die Verwaltung verlieren, weil sie mit dem dort bezahlten Lohnniveau nicht (mehr) Schritt halten können. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Ingenieurbranche.

Doch selbst dann, wenn die Verwaltung bei geringeren Kosten tatsächlich schneller und besser arbeiten würde als die Privatwirtschaft, wäre es ein Fehler, Behörden-Kompetenz und -Quantität aufzubauen für Grossprojekte. Was geschieht nach Abschluss dieser Projekte mit den Beamtenteams? Sie werden beibehalten, irgendwelche Arbeit lässt sich immer finden, um sie beim nächsten Grossprojekt wieder aufzustocken…

Was nötig ist, sind allein intelligente Totalunternehmerverträge und diese setzen sehr gute Detailpläne voraus, die nach Möglichkeit nicht mehr abgeändert werden (können). Denn dass (zu) viele Ämter jeweils in diese Bauprojekte dreinreden und selbst während der Bauphase noch eine Vielzahl von Wünschen äussern, ist ein ganz grosser Kostentreiber. Nicht selten artet dieses «Jekami» auch zu einem Marathon aus, der Architekten, Ingenieure und Planer schier verzweifeln lässt. Die Hausaufgaben sind vorher zu erledigen, nicht erst während der Bauphase. Das gilt für jeden Bauherrn – auch und speziell für die öffentliche Hand, auch und speziell bei Grossprojekten.

Hier liegt das wirkliche Problem und nicht bei der Anzahl an Projektleitenden. Und: ein paar Seiten betriebswirtschaftliche Lektüre würde den Berner Grossräten (und nicht nur ihnen) gut anstehen. 

Sonntag, 13. Juni 2021

Das nächste Virus soll gratis sein - und wird dennoch das teuerste

Kaum ist ein Virus auf dem Rückzug, ist schon ein weiteres in Sicht: Diesmal bedroht es nicht unsere Gesundheit, vielmehr am Ende wohl unsere Freiheit. Beiden Viren ist als Ergebnis «mehr Staat» gemeinsam. Wovon ist die Rede? Von einem offenbar nicht zu bändigenden und hochansteckenden ÖV-Virus.

Der Bundesrat will aus Umweltgründen das Volumen des öffentlichen Verkehrs in unserem Land bis 2050 verdoppeln (warum eigentlich, wenn doch bald alle elektrisch unterwegs sein werden?). Grüne und linke Magistraten und Parteiideologen wollen schnellstens den Gratis-ÖV einführen. Zumindest ist dies z.B. in den Städten Zürich, Basel und Bern in ernsthafter Diskussion. Ist doch ungerecht, wenn die Millionärin gleich viel für das Busticket zahlen muss wie der Lehrling, oder? Dann doch lieber alle den Betrag null.

Es gibt bereits eine lange Liste von Bereichen, in denen fleissig umverteilt wird, auf dass wir alle gleich (arm) werden. Zum Beispiel bei der AHV, bei der Krankenversicherung, bei der Kita, bei den Musikschulgebühren, beim ÖV (verbilligte Rentner- und Lehrlings-Abos etwa) und bei der Arbeitslosenversicherung. Gutverdienende zahlen jeweils zu Gunsten der schlechter Verdienenden. Ursprünglich war eigentlich die Meinung, dass sich die Umverteilung von Reichen zu weniger Reichen im Steuerrecht vollziehen sollte. Dort ist es am effektivsten und dort lässt es sich am effizientesten umsetzen. Inzwischen jedoch bezahlen rund 50% der Schweizer Steuerzahler keine Bundessteuer mehr und auch in Gemeinden und Kantonen wächst die Zahl der steuerbefreiten Mitbürgerinnen von Jahr zu Jahr an. Nicht etwa, weil diese Leute alle mausarm wären, sondern weil die Entlastungen für die unteren Einkommensschichten laufend erhöht werden. Damit greift dieses Umverteilungsinstrument irgendeinmal «untenrum» ins Leere. Während auf der anderen Seite der Pyramide der Griff ins Portemonnaie nach und nach zu einer Demotivation der Bestverdienenden führt (das Beispiel Schweden in den 90er Jahren lässt grüssen). Für sie lohnt es sich trotz einer für die Gesellschaft u.U. sehr teuren Ausbildung nicht mehr, 100% zu arbeiten…

Der ÖV soll also gratis werden. Nicht für alle, aber für viele Schweizerinnen. Vor allem für jene, die in den Städten wohnen. Dafür werden dort die Steuertarife stark ansteigen. Dies wird einen Trend aufs Land auslösen, was die Pendlerströme erhöhen und das städtische Steuersubstrat senken wird. Deshalb wird das Land noch mehr in die Finanzausgleichstöpfe zu Gunsten der Städte einzahlen müssen. Mindestens so lange, bis diese Zwangs-Solidaritäts-Kette mit einem unangenehmen Knall reissen wird.

Wer staatliche Leistungen bezieht, soll dafür bezahlen. Wer weniger begütert ist, soll individuell entlastet und unterstützt werden (Steuern, Sozialhilfe). Das war einmal der Ausgangspunkt einer Entwicklung, die immer schneller gegen die nächstgelegene Wand aus ideologischer Verblendung, Kurzsichtigkeit und allgemeiner Dummheit gefahren wird.

Mittwoch, 9. Juni 2021

Das unreflektierte Klassen-Geschrei

Jetzt schreien sie wieder: «Zweiklassen-Gesellschaft!» Diesmal geht es nicht um die Sozial-, die Bildungs- oder die Gesundheitspolitik, sondern um die G- und die N-Menschen: die geimpften, genesenen oder getesteten auf der einen und die nicht-geimpften, nicht-genesenen und nicht-getesteten auf der anderen bzw. in realiter eben trotzdem auf der gleichen Strassenseite. 

Medien, Politiker und Behörden übernehmen hier einmal mehr unbesehen und unreflektiert das Wording der Sozialisten. Deren Gleichmacherei-Wahn läuft bekanntlich alles zuwider, was sich nicht über denselben Leisten schlagen lässt. Deshalb ist für sie eine «Zweiklassen-Gesellschaft» ein Teufelswerk, schlimmer noch als jedes Virus.

Dabei sind die Sozialisten jedoch äusserst inkonsequent. So sind ihnen zwar die zwei SBB-Klassen ein Dorn im Auge (Ideen zu deren Abschaffung wurden erst kürzlich geäussert), bei den Hotels haben sie gegen 5 Sterne-Klassen jedoch nichts einzuwenden und sind – wie allseits bekannt – gerne und regelmässig Gäste in bekannten Vier-Sterne-Etablissements. Auch gegen die drei Klassen im Flugzeug war noch kaum etwas Negatives zu hören oder zu lesen.

Ebenso verhält es sich mit den drei «Steuerklassen». Weder von den Sozialisten noch den Medien war in diesem Zusammenhang bisher von «Klassengesellschaft» die Rede: die Nicht-Steuerzahler, die «normalen» Steuerzahler und jene rund 10% der Schweizerinnen und Schweizer, die mit ihrem grossen Pflichtobolus weitestgehend die Staatskasse füllen.

Ein Blick in unsere gesellschaftliche Realität zeigt: zwei Klassen im aktuell verwendeten Sinn gibt es überall zuhauf. Da gibt es im ÖV die GA-Besitzer und jene, die vor jeder Fahrt ein Ticket lösen müssen. Die Erwerbstätigen und die Nicht-Erwerbstätigen gibt es. Die KK-Prämienzahlerinnen und die Nicht-Prämienzahlerinnen. Die Schwimmer und die Nichtschwimmer. Die Kaninchenzüchter und die Nicht-Kaninchenzüchter. Die Mitglieder von Landeskirchen und die Nicht-Mitglieder. Und schliesslich das ewige Klassen-Problem zwischen mit den Noch-Lebenden und den Schon-Gestorbenen.

Die Zweiklassengesellschaft ist genau genommen eine Tausend-Klassen-Gesellschaft. Und allmählich wäre es an der Zeit, dies als Realität und Bereicherung zu betrachten, statt stets und überall nach sozialistischer Manier das völlig irrationale Zweiklassen-Geschrei anzustimmen.

 

Samstag, 5. Juni 2021

Staatlich beförderte Staatsabhängigkeit

Wenn die Teuerung hoch ist, geht es den Sparern an den Kragen. So die allgemein anerkannte ökonomische Regel. Seit Mitte der 90-er Jahre haben wir in der Schweiz eine sehr niedrige Teuerung. Seit Mai 1993 stieg die Teuerung gemäss BfS um gerade einmal 10.7% (April 2021); und dies innerhalb von 28 Jahren. Gute Zeiten also für Sparer bzw. für die ältere Generation, die sich für die letzten Lebensjahre den einen und anderen Franken auf die Seite gelegt haben? Eigentlich schon. Wären da bloss nicht die hohen Bankgebühren und die Negativzinsen.

Eine weitere Maxime ist, dass die Besteuerung nach der tatsächlichen «wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit» erfolgen soll. Gerade davon jedoch weicht die Steuerwirklichkeit immer häufiger ab. So lassen sich die Zinsen für Darlehen, Kredite oder Hypotheken von den Einkommenssteuern abziehen. Das leuchtet ja auch ein, denn sie schmälern mein Einkommen.

Die Steuer-Legiferierer rechneten aber nicht mit den Negativzinsen. Und auch nicht damit, dass solche über eine lange Zeit zu bezahlen sein müssten. Schon ab einem Sparbetrag von 100'000 Franken verlangen neu viele Banken einen Negativzins (von Postfinance z.B. beschönigend als "Guthabengebühr" tituliert) von meist 0.75 Prozent; notabene kaum weniger als für eine Hypothek an Schuldzinsen fällig wird. Diese Saldo-Grenze sank in den letzten Jahren kontinuierlich und wird wohl noch weiter sinken. Gleichzeitig nahmen die Bankgebühren Jahr um Jahr zu.

Negativzinsen fallen für die Steuerbehörden gemäss aktuellem Steuerrecht jedoch nicht unter die Schuldzinsen, weil sie nicht für eine Schuld (also einen Negativ-Saldo) zu entrichten sind, sondern paradoxerweise für ein Guthaben (also einen Positiv-Saldo). Deshalb werden sie aus Steuersicht unter die «Versicherungsprämien und Sparzinsen» subsumiert. Denn zur Förderung des privaten Sparens und damit zur Entlastung der staatlichen Fürsorge konnten früher einmal Sparzinsen bis zu einem bestimmten Betrag vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden. Hierzu hält etwa die Solothurner Steuerverwaltung bloss lapidar fest: Weil die Krankenversicherungsprämien inzwischen relativ hoch sind, «können die Sparzinsen aber faktisch nicht mehr in Abzug gebracht werden.» Was bei den Sparzinsen nicht mehr funktioniert, das funktioniert jedoch erst recht nicht bei den Negativzinsen und den Bankgebühren.

So bleibt denn der private Sparer gleich auf allem sitzen: Er muss für sein Erspartes jährlich Steuern und der Bank noch Zins abliefern. Die ursprüngliche politische Idee, dass privates Sparen gefördert werden soll, scheint dennoch keine einzige der vielen politischen Parteien zu kümmern. Irgendwie und seltsamerweise passt das auch zur Philosophie hinter der Pandemie-Bekämpfung: Wer für sich selbst sorgt, ist sowieso selber schuld. Der Staat allein ist ja letztlich für mein Wohlergehen zuständig.