Freitag, 5. Februar 2021

Charakter stünde VOR der Ausbildung

Ein ehemaliger Raiffeisenchef vor Gericht. Früher ein hochge- und umjubelter Topfachmann aus bestem Haus und mit bester Bildung, von den Medien heftig umschmeichelt und von zahlreichen Firmen umworben. U.a. auch zugunsten von Tourismusregionen und in religiösen Gremien erfolgreich aktiv. Träger eines Swiss Awards und diverser weitere Auszeichnungen. Mit anderen Worten: ein offenbar selbstloser, unermüdlich tätiger Vorzeige-Schweizer mit sensationellem beruflichem Erfolg.

Seit ein paar Jahren ist davon fast nichts mehr übriggeblieben. Wenn die Medien über ihn – inzwischen in vorwurfsvollen und hämischen statt schwärmerischen Tönen – berichten, geht es um Gerichtsverfahren und um Gesetzesverstösse. Um private Aktivitäten auf Kosten des Unternehmens, die von sehr wenig Charakter und viel Selbstüberschätzung zeugen. Der «König» liegt, vom Thron gestürzt, in den Trümmern seiner einstigen «Superarbeit», von den gleichen Medien, die ihm früher zu Füssen lagen, bei jeder Gelegenheit in den Staub geprügelt.

Wie konnte es soweit kommen? Ist das bekannte Andersen-Märchen «Des Kaisers neue Kleider» von 1837 bei den gebildeten Menschen des 21. Jahrhunderts vollends in Vergessenheit geraten?

Der besagte Mensch ist nur einer von Vielen in der Geschichte der Menschheit, bei denen sich das immergleiche Muster wiederholt: Glück im Leben (im Beruf, in der Liebe etc), hochgejubelt und umworben von Vielen. Alles könnte perfekt sein. Nur reicht das charakterliche Potenzial offensichtlich nicht für diese ausserordentliche Position. Der eine verfällt der Machtgier (auch Macht macht süchtig), der andere den süssen Verlockungen der Selbstüberschätzung. Der Umschwärmte beginnt zu glauben, was die Schmeichler sagen und arbeitet damit fleissig an seinem eigenen Verderben.

Fällt dann einmal der erste Zacken aus der Krone, beginnt, medial befördert, ein immer rascherer Imageabbau, für den Betreffenden ein schrecklicher Spiessrutenlauf, der frühestens dann aufhört, wenn der «Kaiser» – am Boden zerstört – aus der öffentlichen Wahrnehmung entschwindet und in Vergessenheit gerät.

Ausserordentliche Positionen bedingen einen ausserordentlich starken Charakter, bedingen integre Persönlichkeiten durch und durch – neben einer fundierten Ausbildung. Geblendet von den guten Ratings unserer und anderer Hochschulen vergessen die Vermittler von Topkadern, die Politik, die Medien und wir alle das leider immer wieder.

 

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