Samstag, 10. Oktober 2020

Idealismus gibt's nicht ohne (Kosten-)Realität

Die alten Römer hatten ein überaus geachtetes und für ihre Zeit ausserordentlich faires Rechtssystem geschaffen. Vieles davon ist heute noch ein zentraler Grundbestandteil unseres Rechts. Ein Axiom, das bis heute bei uns geläufig und weit über die juristischen Kreise hinaus bekannt ist, lautet: «In dubio pro reo.» Zu Deutsch: «Im Zweifel für den Angeklagten.» Daraus leitet sich u.a. der Grundsatz ab, dass der Angeklagte nicht seine Unschuld, sondern der Rechtssaat ihm seine Schuld beweisen muss.

Eine Maxime, die etwa beim Steuerrecht für uns alle ausserordentlich wichtig ist: Wie mühsam wäre es doch, müssten wir jährlich dem Staat gegenüber beweisen, dass unser Einkommen im Veranlagungsjahr nicht grösser war, als in der Steuererklärung eingetragen. Und dass auch unser Vermögen präzis der deklarierten Zahl entspricht. Das würde uns jährlich viele Stunden Arbeit und viel Papier kosten und würde den Aufwand für die Steuererklärung vervielfachen. Oder wie schwierig wäre es für uns, müssten wir bei jeder Autofahrt beweisen, dass wir nicht schneller als erlaubt von A nach B gefahren sind.

Die Unternehmensverantwortungs-Initiative (von den Befürwortern aus abstimmungstaktischen Gründen «Konzernverantwortungs-Ive.» genannt) verlangt aber genau das von unseren Unternehmen. Sie sollen künftig beweisen müssen, dass sie alles richtig gemacht, nirgends das Gesetz gebrochen und alle Regeln eingehalten haben. Das stellt nicht nur unser Rechtssystem auf den Kopf, es wird auch einen hohen Aufwand verursachen und viel Geld kosten. Zahlreiche ausländische Firmen werden sich fragen, ob sie die Schweiz unter diesen Bedingungen noch beliefern wollen. Sie werden den Aufwand auf die Warenkosten schlagen oder auf unseren im internationalen Vergleich lediglich kleinen Markt verzichten. Und dass das nicht unrealistisch ist, zeigen etwa die Schweizer Banken, die US-Amerikaner nicht mehr als Kunden wünschen, weil die Vorgaben der USA zu viel Aufwand und damit zu hohe Kosten verursachen. Immerhin gibt es fast 400 Millionen US-Amerikaner oder fast 50-mal mehr als Schweizer...

Manche Schweizer Firma dagegen wird sich die Frage stellen, ob eine Verlagerung ins Ausland unter diesen Umständen ihre Position auf dem Weltmarkt nicht entscheidend verbessern würde. Und damit werden die einen um unser Land einen Bogen machen und andere wegziehen. Was bleiben wird, sind Stellenabbau und Stellenverlust, tiefere Steuereinnahmen, höhere Sozialkosten, Löcher in der Staatskasse und noch grössere Löcher in den Sozialversicherungen.

Das ist die Kosten-Realität dieser Medaille. Die andere Seite, die idealistische, glänzt zwar schön. Keine Realistin wird sich jedoch von diesem Glanz täuschen lassen, weil sie weiss, dass Medaillen mit nur einer Seite so unmöglich sind wie das «perpetuum mobile». 

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