Samstag, 31. Oktober 2020

Das Risiko und die Freiheit

Der Kanton Jura hat kalte Füsse bekommen und schliesst seine Restaurants und Bars. Da fragt sich der «gesunde Menschenverstand»: «Was soll das?» Zuerst tut die Kantonsregierung offenbar zu lange zu wenig und dann plötzlich diese Panikattacke?

(Inzwischen haben andere Kantone nachgezogen. Am Grundsatz ändert das aber nichts.)

Die Jurassier werden bestimmt nicht auf ein Bier oder ein Glas Wein in Geselligkeit verzichten. Die Realität wird sein, dass gesellige Treffen anderweitig stattfinden. Dies umso mehr, als der Kanton eine lange Tradition damit hat: Erinnert sei nur an die Grüne Fee (Absinth). Trotz jahrzehntelangem Verbot war sie nie aus dem Leben der Jurassier und Neuchâteloises verschwunden. Sie war dort immer deutlich präsenter als etwa schwarz gebrannter «Härdöpfeler» in der Deutschschweiz.

Die Jurassierinnen werden zudem die nahen Kantons- und Landesgrenzen nutzen. Im angrenzenden französischsprachigen Teil des Kantons Bern oder im Kanton Neuenburg werden die Restaurants sie gerne als Gäste willkommen heissen. Den Nutzen wird neben der Gastrobranche dieser Region vor allem das Corona-Virus haben. Es wird mit den Jurassiern mitreisen.

Damit resultiert am Ende ein Misserfolg für die Eindämmung des Virus. Und ein weiterer Schaden für die sonst schon enorm schwache lokale Volkswirtschaft im Jura. Wenn sich das Virus im Kanton Jura – wie überhaupt in der ganzen Romandie – derart stark verbreiten konnte (die Zahlen sind im Vergleich zur Deutschschweiz überdeutlich), dann doch wohl, weil sich die Menschen dort kaum an die wichtigsten Vorgaben hielten wie Abstand halten, grössere Zusammenkünfte ohne Schutz vermeiden etc.

Heute beobachtet – irgendwo in der Schweiz: zwei junge Frauen, beide Mütter mit kleinen Kindern, umarmen und küssen sich zum Abschied.

Beides – die Romands und die jungen Mütter – zeigen deutlich: nicht die Politiker oder die Behörden dämmen das Virus ein, sondern letztlich tut dies nur unser Verhalten. Das setzt wiederum voraus, dass uns diese Eindämmung überhaupt wichtig ist; jedenfalls wichtiger als eine Umarmung, ein Kuss oder ein gemeinsames Glas Wein. Setzen aber immer mehr Schweizerinnen und Schweizer andere Prioritäten als die Politiker und Behörden, sollten diese von einer pädagogisch gemeinten Bevormundung abrücken. Wer sich schützen will, kann das weitgehend tun. Selbstverständlich nicht mit einer 100-prozentigen Sicherheit. Diese habe ich aber auch nicht, wenn ich mit der Absicht ins Auto steige, mein Ziel dank sorgfältiger Fahrweise sicher zu erreichen. Schliesslich sind wir nicht allein auf der Welt (unterwegs).

Freiheit geht eben nie ganz ohne Risiko.

Und Nullrisiko gibt es nicht – auch wenn wir die persönliche Freiheit noch so sehr einschränken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen