Die Selbstverantwortung hört nicht dann auf, wenn ich meinen freien Willen ausgeübt oder durchgesetzt habe. Aber aktuell besteht die Gefahr, dass genau diese Botschaft den Bürgerinnen und Bürgern suggeriert wird.
Von vorne: Wer sich in der gegenwärtigen Corona-Krise nicht an die Empfehlungen und Verordnungen von Bund und Kantonen hält, wer, obwohl er zu einer Risikogruppe gehört, wenig bis keine Vorsicht walten lässt, wer also bewusst und fahrlässig seine Gesundheit und allenfalls gar sein Leben aufs Spiel setzt, der kann im Moment darauf zählen, dass ihm bei Bedarf dennoch umfassend geholfen wird.
Denn der Bundesrat hat den Betreffenden mit seinen Massnahmen genau diese Verantwortung für ihr Tun abgenommen. Und die Mitarbeitenden, Spezialisten und Verantwortlichen im Gesundheitswesen setzen alles daran, dass der fahrlässige Mitbürger möglichst keine mittel- bis langfristigen Folgen seines Tuns spüren wird. Um kein Missverständnis herauf zu beschwören: es geht hier nicht um jene Mitbürger, die trotz aller Vorsichtsmassnahmen das Pech hatten, mit dem Corona-Virus angesteckt zu werden. Es geht hier allein um jene, die durch ihr Verhalten eine Ansteckung in Kauf genommen oder sogar recht eigentlich provoziert haben.
Um auch jenen einwandfrei helfen zu können, die sich bar jeder Vernunft verhalten, hat der Bundesrat die Bildung in den Sleep-Modus versetzt und die Wirtschaft in vielen Bereichen lahmgelegt. Die Kantone schaffen für gutes Geld vorsorglich Spital-Ressourcen. Die Gesamtkosten all dieser Massnahmen werden am Ende für Bund, Kantone und Gemeinden (und damit für uns alle) einen dreistelligen Milliardenbetrag erreichen. Ein sehr teures Auffangnetz wurde hier bereitgestellt.
Das war nicht immer so. Das wissen vor allem jene, die heute wegen der Jahrringe zu den Risikogruppen zählen. Als 1957/58 die Asiatische Grippe wütete und weltweit 1-2 Millionen Opfer forderte – das waren laut offiziellen Schätzungen rund 20% der damaligen Weltbevölkerung – war der gelegentliche Besuch des Hausarztes für viele Patienten in der Schweiz das höchste der Gefühle. Eine Arbeitslosenversicherung oder Kurzarbeitsentschädigungen gab es damals so wenig wie in den 60er Jahren. Denn bereits zehn Jahre später forderte die Hongkong-Grippe 1968/69 erneut viele Todesopfer, weltweit mehr als 800'000 Menschen starben. In den Schulen wurde weiter unterrichtet (manchmal vor fast leeren Bänken) und weder die Räder der Wirtschaft noch jene des Verkehrs standen auch nur eine Minute still. Das Thema beherrschte übrigens auch die Medien damals bedeutend weniger als es das aktuelle Virus tut.
Wem seine Gesundheit lieb war, der hat sich damals so gut er es wusste und konnte geschützt. Auch im Bewusstsein, dass Vater Staat nicht für ihn selbst einspringen wird. Die Corona-Krise ist die erste Epidemie in der Schweiz, in der dies anders ist. Mein Gesundbleiben und mein Gesundwerden habe ich weitgehend delegiert, delegieren können. Was dies in den Köpfen und damit im Verhalten der Menschen auslösen wird, werden wir wohl erst in 20-30 Jahren wissen. Es steht leider zu befürchten, dass wir einmal mehr ein Stück unserer Selbstverantwortung und damit letztlich auch unserer Freiheit definitiv wegdelegieren werden.
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