Samstag, 4. Januar 2020

Wenn in der Politik aus einem X ein U wird


Da treffen sich ein paar Solothurner/innen aus diversen Parteien, von links bis rechts, und befinden gemeinsam, sie hätten das Ei des Kolumbus gefunden. Flugs nennen sie ihre Idee «Jetz si mir draa» und beginnen für ihre Initiative Unterschriften zu sammeln. Dass sie die 3000 Unterschriften sofort beisammenhaben, verwundert niemanden. Wer kann schon dagegen sein, wenn all die «armen» Mitbürgerinnen und Mitbürger von der Steuerlast ganz oder zu grossen Teilen befreit werden. Steuersenkungen sind ja für alle Bürgerlichen stets positiv – diesmal gar für die Linke. Wenn schon die Unternehmen steuerlich entlastet werden sollen, dann sollen auch die Mitbürgerinnen mit kleinen Einkommen «profitieren», ist die Botschaft der Initianten. Dass viele Unternehmen – auch Familienunternehmen mit einer Holding-Struktur zum Beispiel – durch die Revision viel stärker belastet werden, übersehen sie dabei grosszügig.

Allerdings muss am Ende jemand die Ausgaben des Staates berappen. Dass die Steuerzahler mit geringen Einkommen sehr vielfältig und weit überdurchschnittlich von den Segnungen der Allgemeinheit profitieren, ist nun mal eine Tatsache. Genannt seien hier bloss die doch sehr namhafte Verbilligung der Krankenkassenprämie oder das Bildungssystem.

Steuersenkungen sind Investitionen in die Zukunft. In die Zukunft des Gemeinwesens wie in die Zukunft von uns allen. Sie fördern neue Arbeitsplätze und den Wohlstand und generieren im Normalfall auch mehr Steuersubstrat. Und das kann der Kanton Solothurn sehr dringend gebrauchen. Denn heute kann unser Kanton nur überleben, weil er jährlich rund 400 Millionen Schweizerfranken von der Schweizerischen Nationalbank SNB und aus dem Finanzausgleichstopf bekommt. Noch vor 30 Jahren vermochte unser Kanton ohne diese Gelder auszukommen und die Steuerbelastung lag im Schweizer Durchschnitt. Heute liegt sie trotz dieses sehr grossen «Zustupfs» an der Spitze, bei den sogenannten «Steuerhöllen».

Was löst die anbegehrte Steuersenkung bei den kleinen Einkommen aus? Sie macht unseren Kanton für diese Einkommen attraktiv – und damit steigen dessen Ausgaben überdurchschnittlich. Jeder Solothurnerin ist es zu gönnen, wenn ihre Steuerrechnung etwas tiefer ausfällt als bis anhin. Das geht aber nur ohne Bankrott des Kantons, wenn gleichzeitig die staatlichen Leistungen abgebaut werden. Oder wenn gleichzeitig mehr Gutverdienende und mehr wertschöpfungsstarke Unternehmen in unseren Kanton ziehen. Denn jemand muss auch diese Rechnung am Ende bezahlen.

Dass bei einer Entlastung der Kleineinkommen nicht scharenweise Reiche in den Kanton Solothurn ziehen, liegt auf der Hand. Die Kleineinkommen werden aber die Staatskasse nicht äufnen, wenn sie an Zahl zunehmen. Im Gegenteil: Für sie sind die Ausgaben des Gemeinwesens gewollt höher als die Einnahmen. Deshalb geht die Rechnung nur auf, wenn neben den Kleineinkommen auch die grösseren Einkommen und die Unternehmen steuerlich entlastet werden.

Solothurn muss kein Steuerparadies werden, aber es muss sich endlich aus der Ecke der Steuerhöllen verabschieden. Seine strukturellen Nachteile sind nicht derart gravierend, dass die Nachbarkantone und die reichen Kantone weiter bereit sein werden, uns auch künftig als Entwicklungsgebiet und mit mitleidiger Grosszügigkeit zu behandeln. «Jetz si mir draa» ist ein buchhalterischer und politischer Blödsinn, wenn mit «mir» nicht ALLE Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Kanton gemeint sind.

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